„Das Wachstum der
Großstädte zwingt die Städtebauer zu neuartigen Lösungen“, schrieb 1962 der
damalige Erste Bürgermeister Hamburgs, Dr. Paul Nevermann. „Hamburg ist in der
glücklichen Lage, durch die Errichtung eines neuen Geschäftsgebiets im Norden
des Stadtparks eine wirksame Dezentralisierung herbeizuführen. Kaum eine andere
deutsche Großstadt kann Baulandreserven, wie sie hier erschlossen werden,
anbieten.“
In wenigen Jahren wurde auf
einem Gebiet neben dem Hamburger Stadtpark eine Trabantenstadt errichtet. Der
städtebauliche Ideengeber und Planer der City Nord war der Architekt Werner
Hebebrand (1899-1966), - von 1952 bis 1964 Oberbaudirektor in Hamburg. Nach
seinem Tod wurde eine Straße im nördlichen Teil der City Nord nach ihm
benannt.
Ein vielfältiges soziales Leben
wollte der Planer der „Bürostadt im Grünen“ verwirklicht wissen: „Hier sollen
die zur Bedienung des Gebiets notwendigen Betriebe untergebracht werden. Es ist
Platz für ein Hotel, für ein Lichtspieltheater (oder Theater), für Bankfilialen,
Restaurants und Bars (auch Tagesbars), für Läden und ein Warenhaus. Auch wäre
die Unterbringung von Behörden - möglicherweise einer Finanzdienststelle -
möglich, Andachtsräume (evangelisch und katholisch) sind denkbar.“ Mit
schwärmerischer Fortschrittsgläubigkeit schrieb Hebebrand bereits 1959 über die
Verkehrsanbindung der „Geschäftsstadt Nord“, daß in Zukunft als „Lufttaxis“
eingesetzte Hubschrauber das Areal mit der Hamburger Innenstadt verbinden
sollten.
Etwa in der ausgehenden
Blütezeit von Stadtplanern wie Werner Hebebrand, im Jahr 1965, veröffentlichte
der Frankfurter Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich (1908-1982) ein Buch:
„Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden“.
Er beklagte, daß beim
Wiederaufbau der kriegszerstörten Städte in Deutschland eklatante Bausünden
durch die Stadtplaner begangen worden waren. Mitscherlich wies darauf hin, daß
Städte einst einen eigenen Charakter hatten. Er selbst nennt es das „Herz“.
Dieses fehle in den Zentren der Trabantenarchitektur.
Die Städte von einst hatten
integrierte Lebens- und Arbeitsräume. Das wurde „funktionell entmischt“: Hier
Büro, - da wohnen, - dort Freizeit, - hier Kindunterbringung, - da Altenablage.
Und alles ist adrett in Beton geordnet. Die so gestalteten Städte haben
Rückwirkungen auf die Sozialisation ihrer Bewohner. Ein konstruktives
Sozialverhalten fördern sie nicht, vielmehr lassen sie soziales Engagement gar
nicht erst aufkommen, - der „Dschungelaspekt der Konkurrenzgesellschaft“
(Mitscherlich) dominiere in ihnen.
Bei einem Spaziergang durch die
City Nord fällt auf, daß man dieses Stadtgebilde jedem x-beliebigen Ort in
Deutschland, Europa, ja der ganzen Welt zuordnen kann. Ein spezifisches „Herz“,
Identifikation stiftende Angebote, sucht man vergebens.
Die vorliegende Anthologie
stellt in Geschichten, Reportagen, Dokumentationen Alltagsleben in und um die
Hamburger City Nord herum dar. Damit begeben sich die Beiträge in das
Spannungsfeld zwischen jenen technokratischen Utopien, die Stadtplaner wie
Hebebrand einst an ein „modernes“ Stadtleben knüpften, und ihrer Kritiker, die
wie Mitscherlich vor sozialer Entfremdung in Betonlandschaften warnten.
Vielfältige Aspekte werden
aufgegriffen, ob es dabei um Geschichten über Bauernproteste vor
Lebensmittelfirmen in der City Nord geht oder über ein Neujahrsfest im Heim am
Dakarweg, - das Aufeinandertreffen einer Vielzahl von Nationalitäten am
Wesselyring oder Freizeitaktivitäten wie Schachspielen im Stadtpark, -
Einsamkeitserfahrungen trotz hoher Einwohnerdichte oder Weihnachten als Muslim,
- die allmorgendlich „putzenden Kopftuchbataillone“ in den Bürobauten oder
Rendezvous-Erfahrungen unterm Planetarium, - historische Betrachtungen über den
Stadtplaner Werner Hebebrand oder auch nur einer kurzen Begegnung mit Inge
Meysel, die für kurze Zeit zu den ersten Bewohnerinnen der City Nord gehörte,
und anderes mehr: Die Texte sind kleine Seismographen, mit denen Ansprüche von
einst an das Stadtleben und Alltagswirklichkeiten von heute überprüft
werden.
Vier Themenschwerpunkte werden
aufgegriffen:
· Historische Betrachtungen
zu dem Gebiet, auf dem die heutige „Trabantenstadt“ errichtet wurde und zur
Entstehung der City Nord.
· Alltagsgeschichten aus der
City Nord.
· Geschichten aus den
Wohnsiedlungen neben der „Bürolandschaft im Grünen“.
· Der nahe gelegene
Stadtpark und seine Bedeutung für die Menschen.
Die Texte geben einen Eindruck
von dem Leben in einem Hamburger Stadtgebiet, das mit dem Image des
„Unwirtlichen“ zu kämpfen hat und bisher noch nie in einem Stadtteilbuch
gewürdigt wurde. Der Band beweist: Die Wüste
lebt!
Der Leser erfährt auch: Am Rand
der City Nord, in der Siedlung am Wesselyring, stößt man auf ein vielfältiges
soziales und kulturelles Leben. Hier liegt das Waschhaus am Wesselyring 51, wo
sich auch die Aktivistinnen und Aktivisten einer Schreibwerkstatt regelmäßig
treffen und sonntäglich Lesungen stattfinden, bei denen auch durchaus
„bekanntere Namen“ auftreten. Organisiert werden diese Aktivitäten seit einigen
Jahren von dem Hamburger Schriftsteller Peter Schütt. Mit einer kleinen Chronik
von über 100 „Waschhauslesungen“ der letzten 3 Jahre werden diese Aktivitäten im
Anhang des Bandes dokumentiert.
Beiträgerinnen und Beiträger des
vorliegenden Bandes sind: Sabine Ackermann, Akram Ahmadi, Michael Baade,
Wolfgang Beutin, Rolf von Bockel, Heiko van Dieken, Anita Dulski, Heidi
Egbering, Maren Egbering, Angelika Flotow, Uwe Grapenthien, Ahmad Husseini,
Rainer Kellner, Gabriele Krause, Otto Leunig, Morassah Mazloumsaki, Hans Otte,
Ilyas Özdemir, Carmen Peche, Sylvia Schmudlach, Peter Schütt, Margret Silvester,
Hans Georg Timm, Gerda Zorn.